Anthropogene Spurenstoffe nach Kriterien der WRRL (Mai 2015)

Anthropogene Spurenstoffe im Bodensee - Neubewertung des chemischen Zustands nach den Kriterien der europäischen Wasserrahmenrichtlinie

Anlass: Am 22. Dezember 2014 wurde der Entwurf für die Aktualisierung der Bewirtschaftungspläne nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) veröffentlicht. Demnach werden zwei Substanzen die ab 22. Dezember 2015 in der EU geltenden Umweltqualitätsnormen (UQN) in Biota überschreiten, der chemische Zustand des Bodensees ist danach als „nicht gut“ einzustufen. Das Faktenblatt gibt Informationen zur Höhe der Überschreitungen und Vergleichswerten und erläutert die Hintergründe und Folgen.


Was sind anthropogene Spurenstoffe?

Die Thematik der anthropogenen Spurenstoffe im Wasserkreislauf erlangte in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung im Umweltschutz. Anthropogene Spurenstoffe bezeichnen Stoffe in sehr geringen Konzentrationen, deren Vorkommen im Gewässer vom Menschen direkt oder indirekt verursacht wird. Spurenstoffe, auch Mikroverunreinigungen genannt, sind fester Bestandteil unserer Gesellschaft und kommen aus praktisch allen Bereichen der menschlichen Aktivitäten. Sie können beispielsweise bei der industriellen Produktion oder Verbrennungsprozessen freigesetzt werden oder bei Gebrauch von Stoffen (z. B. Pflanzenschutzmittel) bzw. Produkten, die diese Stoffe enthalten (z. B. Baumaterialien mit Bioziden) in die Umwelt emittiert werden. Sie gelangen über direkte Anwendung wie etwa bei Pflanzenschutzmitteln, über das Abwasser (z. B. Medikamente, Reinigungsmittel) oder auch über die Luft und den Niederschlag in Flüsse und Seen.

Einige dieser Stoffe können sich in der Umwelt anreichern und möglicherweise Risiken bergen oder schädliche Wirkungen hervorrufen. So wurde beispielsweise Blei durch die Verbrennung bleihaltigen Benzins über die Atmosphäre weit verteilt. Ähnlich ist es mit Quecksilber, das unter anderem über Kohlekraftwerke in die Atmosphäre gelangt. Auch synthetisch hergestellte organische Verbindungen wie etwa Flammschutzmittel aus dem Elektronikbereich oder aus der Herstellung / Verarbeitung synthetischer Wohnraumtextilien und Polstermaterialien sind inzwischen in der Umwelt weltweit verbreitet.

Einige langlebige Stoffe können sich in Lebewesen anreichern (Bioakkumulation) und dort toxisch wirken. Auch wenn – wie für einige Stoffe bereits geschehen – die Herstellung und Verwendung bereits verboten wurde, können solche Substanzen wegen ihrer Stabilität (Persistenz) auch langfristig noch in der Umwelt nachgewiesen werden. Einige dieser anthropogenen Stoffe sind inzwischen ubiquitär verbreitet, selbst in der Antarktis oder in abgelegenen Hochgebirgsseen. Sie finden sich deshalb auch im Bodensee.

 

Rechtliche Bestimmungen

Die Europäische Union hat in ihrer Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) im Jahr 2000 das Ziel beschlossen, für Flüsse und Seen einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu erreichen. In der Tochterrichtlinie zur EG-WRRL 2008/105/EG (UQN-Richtlinie) wurden Umweltqualitätsnormen (UQN) für 33 sogenannte prioritäre Stoffe festgelegt. Als „prioritär“ werden solche anthropogenen Spurenstoffe oder ganze Stoffgruppen eingestuft, die ein Risiko in der Umwelt darstellen können. Die UQN ist definiert als diejenige Konzentration eines bestimmten Stoffs oder einer bestimmten Stoffgruppe, die in Wasser, Sedimenten oder Organismen nicht überschritten werden darf.

2013 wurde die UQN-Richtlinie überarbeitet (Richtlinie 2013/39/EU) und um zwölf neue Substanzen erweitert: Wirkstoffe von Insektiziden wie Heptachlor, Biozid-Wirkstoffe wie Cybutryn, Industriechemikalien wie Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) sowie Dioxine. Deren UQN sind ab 2018 anzuwenden. Für sieben der bereits früher festgelegten prioritären Stoffe (u.a. für die als Flammschutzmittel verwendete Stoffgruppe der bromierten Diphenylether BDE) wurden die UQN wesentlich niedriger als bisher festgesetzt. Diese UQN sind bereits in den Bewirtschaftungsplänen 2015 nach der WRRL zu berücksichtigen.

Für einige Stoffe können die sehr niedrigen Werte der UQN in der Wasserphase auch mit fortschrittlichen Analyseverfahren nicht nachgewiesen werden. Für diese Stoffe, darunter auch Quecksilber, BDE, Heptachlor und PFOS, die sich vorwiegend in aquatischen Organismen (Biota) ansammeln, sind Vorsorge-UQN in Biota, d.h. in Wasserlebewesen (Fische) festgelegt. Sie dienen dem vorsorglichen Schutz der Nahrungskette im Wasserbereich. Bei den elf Biota-UQN handelt es sich grundsätzlich um Umweltqualitätsziele im Sinne des Vorsorgeprinzips. Die Festlegung der Werte erfolgt nach EU-Guidelines.

 

Daten und Fakten 2014

Bereits seit einigen Jahren wird das Wasser des Bodensees und seiner Hauptzuflüsse auf das Vorkommen von Spurenstoffen untersucht. Die aktuelle Bewertung mit den neuen in der Richtlinie 2013/39/EU festgelegten UQN ergibt, dass bei der weit überwiegenden Zahl der prioritären Stoffe die vorgegebenen Werte eingehalten sind.

Bei zwei Substanzen werden die UQN in Biota überschritten: beim Quecksilber sowie den polybromierten Diphenylethern (BDE). Nach den Kriterien der WRRL ist der chemische Zustand bereits bei Überschreitung einer einzigen UQN als „nicht gut“ einzustufen. Auch für die Industriechemikalien PFOS sowie dem Insektizid Heptachlor werden nach heutigem Kenntnisstand die künftig geltenden UQN ebenfalls überschritten.

Tabelle: Vergleich verschiedener Anforderungs-/Grenzwerte für die genannten Stoffe

Stoff

EU - UQN  Wasser

ng/l 

CH-Grenzwert Wasser (ng/l)

IST-Werte

Wasser 

 

(ng/l) c

UQN EU

Biota

 

(µg/kg)

IST-Werte

Biota 

 

(µg/kg) c

Grenzwert/Leitwert Trinkwasser

(ng/l) e

Quecksilber (Hg)

70 (b) 

10

< 10

20

70

1000

BDE1
(Flammschutzmittel)

140 (b)

 

< 0,1 

0,0085

2

 

PFOS2
(Perfluorierte
Chemikalie, PFC)

0,65(a)

 

7

9,1

10

300

Heptachlor3 (Insektizid)

0,0002

(a)

100

< 10

0,0067

0,07

30

(a) Jahresdurchschnittswerte Binnenoberflächengewässer
(b) Höchstkonzentration Binnenoberflächengewässer, keine Jahresdurchschnittswerte definiert
(c) Im Bodensee gemessene Werte
(d) n. b. - nicht bestimmt; keine aktuellen Messwerte vorhanden
(e) Grenzwerte nach Trinkwasserverordnung (Österreich) bzw. Leitwert Umweltbundesamt / Trinkwasserkommission (Deutsch)
Die drei organischen Verbindungen BDE, PFOS und Heptachlor dürfen auf europäischer Ebene inzwischen mit ganz wenigen Ausnahmen nicht mehr verwendet und nicht mehr in Verkehr gebracht werden.
Die gegenüber den natürlichen Hintergrundwerten erhöhten Quecksilberwerte werden heute vor allem diffus eingetragen. Als eine Ursache gelten Emissionen aus Kohlekraftwerken.

1  22. Dez. 2015 Frist zur Anwendung der neuen UQN (BDE); 22. Dez. 2021 Frist zur Einhaltung dieser UQN
22. Dez. 2018 Frist zur Anwendung der neuen UQN für PFOS, 22. Dez. 2027 Frist zur Einhaltung dieser UQN
3 22. Dez. 2018 Frist zur Anwendung der neuen UQN für Heptachlor, 22. Dez. 2027 Frist zur Einhaltung dieser UQN

 

Die Biota-UQN werden für Quecksilber und für BDE in den Oberflächengewässern Europas vermutlich flächendeckend überschritten.

Zur Situation in der Schweiz: Die Schweiz ist nicht an die Wasserrahmenrichtlinie gebunden, unterstützt die EUMitgliedstaaten bei den Koordinierungs- und Harmonisierungsarbeiten jedoch im Rahmen  der völkerrechtlichen Übereinkommen und ihrer nationalen Gesetzgebung [Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz, GSchG); Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998 (GSchV)]. Die GSchV enthält ökologische Ziele für Gewässer sowie Anforderungen an die Wasserqualität von Fließgewässern, stehenden Gewässern, unterirdischen Gewässern und Grundwasser, das als Trinkwasser genutzt wird oder dafür vorgesehen ist. Die ökologischen Ziele halten u.a. fest, dass Stoffe, die Gewässer verunreinigen und die durch menschliche Tätigkeit ins Wasser gelangen können, im Gewässer nur in nahe bei null liegenden Konzentrationen vorhanden sein sollen, wenn sie dort natürlicherweise nicht vorkommen. Im Bereich der organischen Spurenstoffe wird die GSchV zurzeit überarbeitet (Anhörungsfrist Ende März 2015).In einem späteren Schritt sollen die numerischen Werte der Wasserqualität nach neuesten wissenschaftlichen  Beurteilungskriterien vergleichbar mit den Bestimmungen der EU festgelegt werden.
 

Was bedeuten diese Befunde für die Nutzung als  Trinkwasser und den Verzehr von Fischen?

Bodenseewasser ist ein Naturprodukt. Es trägt wie jedes andere auch den „Fußabdruck“ der menschlichen Zivilisation. Die Fortschritte der Laboranalytik führen dazu, dass heute viele anthropogene Spurenstoffe in sehr geringen Konzentrationen flächendeckend in aquatischen Systemen nachweisbar sind. In der Gesamtbewertung nach den Kriterien der WRRL lässt sich aber feststellen, dass – abgesehen von den vorgenannten ubiquitären Stoffen – das Wasser des Bodensees einen guten chemischen Zustand aufweist. Für die Verwendung von Bodenseewasser als Trinkwasser sind die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung (Deutschland/Österreich), die Leitwerte des Umweltbundesamtes (Deutschland) bzw. der Fremd- und Inhaltsstoffverordnung (Schweiz) entscheidend. Die Konzentration von Heptachlor im Bodenseewasser liegt mit <10 ng/l deutlich unter dem Grenzwert von 30 ng/l für Trinkwasser, die Konzentration von PFOS liegt mit 7 ng/l um den Faktor 40 unter dem lebenslang duldbaren Leitwert des Umweltbundesamts von 300 ng/l im Trinkwasser. Für BDE wurde bislang kein Grenz- bzw. Leitwert für Trinkwasser festgelegt. Dieser Stoff bindet in der Regel an Feststoffe und ist daher im Trinkwasser nicht zu erwarten. Nach der Aufbereitung entspricht die chemische Beschaffenheit des Trinkwassers aus dem Bodensee in jeder Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen nach der Trinkwasserverordnung. Es wird kein Grenzwert überschritten. Die Experten sehen somit keine Gefahr für das Trinkwasser aus dem Bodensee.

Einige Stoffe, darunter auch Quecksilber, BDE, PFOS und Heptachlor reichern sich aber in Wasserlebewesen und hier vor allem in Fischen an. Für die Ermittlung der Umweltqualitätsnormen werden sowohl akute als auch chronische Auswirkungen auf alle im oder durch die aquatische Umwelt betroffenen Organismen bewertet und der jeweils niedrigste Wert für die Festlegung heran gezogen. Dabei wird auch das Risiko aufgrund der Anreicherung über die Nahrungskette betrachtet. Ziel ist es, ein langfristiges und umfassendes Schutzniveau in der Umwelt insgesamt zu erzielen. Dadurch kann es vorkommen, dass im Lebensmittelrecht andere Werte gelten.

So gilt beispielsweise für Quecksilber eine UQN von 20 µg/kg Fischfrischgewicht, die Bodenseefische liegen in dieser Größenordnung, teilweise bis etwa 3,5 fach darüber.  Im Lebensmittelrecht wird aus humantoxikologischer Sicht eine Quecksilber-Belastung bei Süßwasserfischen von bis zu 500 µg/kg als tolerabel angesehen.

Für PFOS wird die gemäß Lebensmittelrecht und UQN-Ableitung tolerable tägliche Dosis von 150 ng/kg Körpergewicht aufgrund der nur geringfügigen Biota-UQN Überschreitung bei durchschnittlichem Fischkonsum eingehalten. Für Heptachlor werden trotz der Überschreitung der Biota-UQN weder die im Lebensmittelrecht festgelegte Rückstandshöchstmenge in tierischen Erzeugnissen von 0,01 mg/kg noch die von der WHO (1995) genannte tolerable tägliche Dosis von 0,7 µg/kg Körpergewicht überschritten. Für BDE sind im Lebensmittelrecht keine Grenzwerte festgelegt. Nach einer Stellungnahme der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) werden BDE durch Verzehr von Fischen und Fischerzeugnissen nicht in gesundheitlich bedenklichen Mengen aufgenommen . Demnach stellt die deutliche Überschreitung der Biota-UQN in Fischen für BDE nach heutigem Kenntnisstand keine gesundheitliche Gefährdung für die Verbraucher dar.

 

Welche Maßnahmen sind möglich - Was tut die IGKB?

Für die ubiquitär vorhandenen prioritären Stoffe wird die zu erwartende abnehmende Belastung langfristig beobachtet. Soweit anthropogene Stoffe bereits verboten sind und im Wesentlichen diffus eingetragen werden, können wasserwirtschaftliche Maßnahmen nur einen sehr begrenzten Beitrag liefern. Soweit die Stoffe z. B. bei Verbrennungsprozessen entstehen, sind Maßnahmen in anderen Bereichen erforderlich. Diese liegen in der Verantwortung der jeweiligen Länder und Kantone, für gesetzgeberische Maßnahmen auch in der Verantwortung der EU-Kommission.

Die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) begrüßt die integrativen und länderübergreifenden Ansätze der WRRL, europaweit einen „guten Zustand“ im Hinblick auf die ökologische Funktionsfähigkeit und chemische Wasserbeschaffenheit der Seen, Fleißgewässer und Grundwasservorkommen zu erreichen. Sie setzt sich seit Jahren dafür ein, die hohe Qualität des Bodenseewassers zu erhalten und – wo notwendig – zu verbessern. Dies betrifft auch die anthropogenen Spurenstoffe, zu denen in der Vergangenheit im Auftrag der IGKB mehrere, teils aufwendige Forschungsprojekte und Messkampagnen durchgeführt wurden.

Die IGKB hat sich das Ziel gesetzt, im internationalen Staatenverbund gemeinsam die Einträge risikobehafteter Stoffe weiter zu minimieren. Insgesamt wird die IGKB – wie schon in der Vergangenheit – im Zuge von Messkampagnen die künftige Entwicklung aufmerksam verfolgen und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse sowie deren Bewertung informieren.